Net-Zero-Ziele sind längst keine freiwilligen Absichtserklärungen mehr. Sie sind zu entscheidenden Verpflichtungen geworden, die die Art und Weise verändern, wie Unternehmen agieren und wettbewerbsfähig bleiben. Mit der fortschreitenden Entwicklung von Regulierung wird sie zunehmend zu einem Katalysator für langfristige Transformation – weg von bloßer Einhaltung hin zur strategischen Neuausrichtung. Für Führungskräfte besteht die Herausforderung nicht mehr darin, ob man handelt, sondern wie man regulatorische Anforderungen in einen Wettbewerbsvorteil verwandelt.
In einem aktuellen Gespräch diskutierten Steve Gibbons (Head of Advisory UK & Ireland bei LRQA und Gründungsdirektor von Ergon Associates) und Thomas Zumbühl (Associate Director Sustainability Consulting bei LRQA Advisory in Zürich), wie regulatorische Rahmenbedingungen, Führungsverantwortung und integrierte Planung effektivere Net-Zero-Strategien ermöglichen.
Sie betonten, dass technisches Regelwerk und Emissionsberichte allein nicht ausreichen – vielmehr müssen Unternehmen Komplexität annehmen, soziale und ökologische Zusammenhänge berücksichtigen und Verantwortung für einen gerechten, ganzheitlichen Wandel übernehmen.
Regulierung ist nicht nur ein Regelwerk. Sie gibt die Richtung vor.
Thomas betonte, dass Regulierung zunehmend die strategische Ausrichtung von Unternehmen bestimmt – nicht nur im Sinne von Pflichterfüllung, sondern durch strukturierte Vorgaben zu Transparenz, Zielsetzung und Langfristplanung. Initiativen wie die Science-Based Targets Initiative (SBTi) waren einst freiwillig – heute sind sie in viele verbindliche Anforderungen integriert.
Besonders sichtbar wird das in der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und den European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die europaweit gelten.
„Die ESRS sind im Grunde das neue Regelwerk“, so Thomas. „Unternehmen müssen nicht nur Emissionen offenlegen, sondern auch einen klaren Reduktionspfad mit kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Zielen präsentieren.“
Transparenz als Leistungsfaktor
Die wichtigste Veränderung: Unternehmen müssen ihre Net-Zero-Ziele und Fortschritte öffentlich machen. Das bedeutet aktuell keine Sanktionen bei Nichterfüllung – wohl aber erhebliche Reputationsrisiken bei fehlender Offenlegung.
„Transparenz ist die zentrale Anforderung“, sagt Thomas. „Es geht nicht darum, ob Ziele erreicht wurden, sondern ob sie vorhanden, öffentlich und nachvollziehbar sind.“
Steve ergänzt: „Die Veröffentlichung eines Plans bedeutet, ihn zur Unternehmensrealität zu machen – nach innen und außen.“
Von der Klimastrategie zur Unternehmensstrategie
Eine Klimastrategie, die nicht im Kerngeschäft verankert ist, wird kaum wirksam sein.
„Wenn sie nicht in die Unternehmensstrategie eingebettet ist, funktioniert sie wahrscheinlich nicht“, so Thomas. Geschäftsmodelle, Beschaffung und operative Prozesse müssen möglicherweise neu gedacht werden.
Dabei ist Führung entscheidend: Nicht nur die Freigabe eines Berichts, sondern die aktive Vermittlung und Umsetzung eines langfristigen Richtungswechsels ist gefragt.
„Investoren, Mitarbeitende und Stakeholder müssen sehen, dass Führungskräfte es ernst meinen“, sagt Thomas.
Risiken, Resilienz und die Bedeutung eines gerechten Übergangs
Ein zentraler Punkt im Gespräch war die Gefahr unbeabsichtigter Nebenwirkungen.
Net-Zero-Initiativen werden oft als technische Herausforderungen gesehen – dabei haben Änderungen oft tiefgreifende Auswirkungen auf Lieferketten, Arbeitsplätze und lokale Gemeinschaften.
Steve nennt ein Beispiel aus der Schifffahrt: Eine neue Lackierung führte zu geringerem Treibstoffverbrauch, da die Schiffe effizienter durchs Wasser glitten.
„Kleine Änderungen mit großem Effekt – aber sie müssen umfassend bewertet werden.“
Thomas ergänzt: Wird z. B. ein lokaler Lieferant aus Klimagründen ersetzt, kann das lokale Arbeitsplätze gefährden.
Fallbeispiel Biokraftstoffe: Eine Warnung
Steve beschreibt ein reales Projekt, bei dem Dorfgemeinschaften ermutigt wurden, statt Nahrungsmittel nun Biokraftstoffe anzubauen.
„Das führte zu Lebensmittelknappheit und steigenden Preisen. Am Ende mussten wir empfehlen, weiterhin lokale Lebensmittelproduktion zu sichern.“
Thomas fügt hinzu: „Monokulturen machen Gemeinden anfällig. Ein diversifiziertes Modell ist krisenfester.“
Vergütung und Verantwortung: Nachhaltigkeit messbar machen
Ein Trend: Nachhaltigkeitsleistungen beeinflussen zunehmend die Vergütung von Führungskräften.
„Fast alle meine wichtigsten Kunden haben ESG-Ziele in Bonusstrukturen integriert“, berichtet Thomas. Nicht immer klimabezogen, aber ein klares Signal.
Steve ergänzt: Etwa 80 % der Großunternehmen verknüpfen bereits heute Boni mit Nachhaltigkeit – Tendenz steigend.
Ein weiteres wirksames Mittel: Ein interner CO₂-Preis, der Investitionsentscheidungen ökologisch steuert.
Fünf praktische Empfehlungen für Unternehmensführung
1. Machen Sie den Plan konkret
- Entwickeln Sie einen spezifischen, zeitgebundenen Klimaplan im Einklang mit Zielen wie dem Pariser Abkommen.
- Integrieren Sie ihn in Ihre Gesamtstrategie.
2. Fördern Sie Transparenz
- Offenlegung über ESRS, ISSB oder SBTi.
- Berichterstattung als Verbesserungsinstrument, nicht nur als Pflicht.
3. Managen Sie Übergangsrisiken aktiv
- Soziale und wirtschaftliche Auswirkungen analysieren.
- Stakeholder frühzeitig einbinden.
4. Etablieren Sie klare Verantwortlichkeiten
- ESG-Ziele in Vergütungsmodelle integrieren.
- Interne CO₂-Bepreisung als Investitionssteuerung nutzen.
5. Kommunizieren Sie überzeugend
- Führungskräfte müssen den Wandel glaubhaft vertreten.
- Klare, konsistente Kommunikation stärkt Vertrauen und Motivation.
Der Weg in die Zukunft: Von der Berichterstattung zur Verantwortung
Mit zunehmender Regulierungsdichte steigt auch der Handlungsdruck. Doch die erfolgreichsten Unternehmen werden nicht nur berichten – sie werden transformieren.
Thomas fasst es zusammen: „Technische Lösungen allein reichen nicht. Der soziale Kontext, wirtschaftliche Abhängigkeiten und die Gemeinschaften müssen mitgedacht werden.“
Steve mit einem abschließenden Appell: „Haben Sie einen Plan. Überprüfen Sie ihn. Übernehmen Sie ihn. Kommunizieren Sie ihn. Leben Sie ihn. Denn es geht nicht nur um Ihr Unternehmen – es geht um Ihre Rolle in einer nachhaltigen Zukunft.“